vom 17.04.2024

Sind wir in guter Verfassung?

Bewegender Abend für das Grundgesetz

Siegburg. Schweres Wetter. Ein Sturm zieht auf. Er jagt den Regen quer durch die Straßen. Die Tropfen schlagen wild gegen das Sheddach. Fünf Meter darunter, im Forum des Stadtmuseums, steht eine Geburtstagstorte. Ein rüstiger Senior feiert Geburtstag. Das Grundgesetz wird 75. Mehr als doppelt so viele Siegburger gratulieren. Sie haben ihr Ticket für eine Zeitreise ins Jahr 1949 gelöst. 

Zusammengebracht von der Landeszentrale für politische Bildung laden der Schauspieler Roman Knižka und das Bläser-Quintett Opus 45 ein zu einer stilvollen Birthday-Party für - jetzt offiziell und förmlich - die Grundlage unseres Zusammenlebens. Die musikalische Lesung ist ein Aufruf, unsere Demokratie wetterfest zu machen. Da passen die widrigen äußeren Verhältnisse wie der Verfassungsrichter nach Karlsruhe. Um es mit dem einstigen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert zu sagen, den Knižka ausführlich zitiert: "Es gibt keine Überlebensgarantie für die Herrschaft des Volkes." 

Unser Grundgesetz, das sich nicht Verfassung nennt, weil Deutschland 1949 zerschnitten ist und nicht für alle Deutschen gelten kann, ist in rechtlicher und sprachlicher Hinsicht ein Meisterstück. Das 75. Jubiläum ist der Moment, in dem uns sein Wert bewusst wird. Der Schriftsteller Navid Kermani schmökert gern darin und hat ein erstaunliches Paradoxon ausgegraben, das Knižka dem Publikum vorführt: Wäre die Würde des Menschen wirklich unantastbar, bräuchte es dann 23.000 Grundgesetzworte und 197 Artikel, sie zu schützen? 

Wie schon vor einem Dreivierteljahr, als Knižka und Opus 45 ins vogelwilde Krisenjahr 1923 aufbrachen, ist der Abend für das Grundgesetz ein Grenzgang: Elisabeth Selbert und die Emanzipation der Frau. Die Scorpions und der Wind des Wandels. Ein bisschen Kinderrechte, eine Portion David Hasselhoff mitsamt kirmesartigem Freiheitsgebrüll. Der schüchterne Lothar de Maizière tritt auf, studierter Bratschist und letzter Ministerpräsident der DDR, der den Vorschlag unterbreitet, einen Teil der DDR-Hymne zum Nationallied der BRD hinzuzufügen. Helmut Kohl verschluckte sich am geliebten Pfälzer Wein, als er von der gewagten Idee hörte. Opus 45 hat weniger Berührungsängste. Es lässt klangvoll Deutschland aus Ruinen auferstehen und sich der Sonne zuwenden.

Was eint die frühen Demokraten, die 1948/49 im Bonner Museum König neben der ausgestopften Giraffe um die Verfasstheit unseres Landes ringen? Das Urerlebnis "Drittes Reich". Die Willkür. Die Verfolgung. Der kriegerische, massenmordende Staat. Das wird sich nie, wirklich nie wiederholen. So versprechen es die fünf Dutzend Väter und vier Mütter des Grundgesetzes der Welt und, nicht zuletzt, sich selbst. Präsident des Gremiums ist Konrad Adenauer, der die Spielregeln für die politische Auseinandersetzung formuliert: Der Gegner ist zu respektieren und zu achten. Nicht umzubringen.

Letze Frage des Abendgestalters Roman Knižka ans andächtige Publikum: "Sind wir in guter Verfassung?" Die Antwort bleibt offen. Die Aufgabenstellung, sich selbst zu hinterfragen, in den Köpfen. Draußen hat sich das Unwetter verzogen. Sterne leuchten. Die Luft ist klar und kalt.

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